Im Zuge der Diskussion über die Datenschnüffeleien der Geheimdienste rückt auch der Datenschutz von Online-Nutzern wieder in den Fokus. Die Angebote wachsen, die Sorgen auch. Was in der Cloud war, bleibt in der Cloud?
Die Cloud ist nicht weit weg. Im Zuge der Diskussion über die Datenschnüffeleien der Geheimdienste in Amerika und Europa wird das auch größeren Bevölkerungsschichten klarer. Aber weiß wirklich jeder, der Google-Angebote für jedermann jenseits der reinen Internetsuche nutzt, also zum Beispiel das E-Mail-Programm „Mail“ oder die Textverarbeitung „Google Docs“, dass sich die gespeicherten Daten danach ausschließlich in der Cloud finden? Dass hier jeweils Rechenzentren über das Internet angesteuert werden, die irgendwo auf der Welt stehen? Auch wer in den vergangenen Jahren bei Apple eine „iTunes“-Musikbibliothek aufgebaut hat, findet seine Einkäufe in der Cloud hinterlegt. Und wer zum eifrigen Leser elektronischer Bücher geworden ist, kann auf diese über die Cloud zugreifen, zum Beispiel über diejenige, die die Telekom rund um das neue Tolino-Lesegerät aufgebaut hat, oder die von Amazon.
Das ist aber nur ein kleiner Teil dessen, was Amazon mit seinen großen Rechenzentren macht. Denn der Amazon-Vorstandsvorsitzende und -Gründer Jeff Bezos hat rund um diese Computer ein weiteres großes Geschäftsfeld aufgebaut. Die erst im Jahr 2006 gegründete Sparte „Amazon Web Services“ (AWS) bietet sogenannte Public-Cloud-Dienste an, die von jedem interessierten Unternehmen genutzt werden können. Bezahlt wird in der Regel nur, was tatsächlich an Rechenleistung genutzt wird, ohne Grundgebühren, ohne Abo. Amazon erreicht mit seiner Cloud in erster Linie kleinere IT-Unternehmen oder auch Internethändler, die ohne größere eigene IT-Ressourcen arbeiten. Allerdings sind inzwischen auch größere Unternehmen hinzugekommen, die speziell definierte Aufgaben mit recht hohen Anforderungen an Rechnerleistung in die Cloud verlagern.
„So bedeutsam wie einst die Umstellung auf das Stromnetz“
Gerade diese Angebote treiben derzeit offenbar das Wachstum. Aufbauend auf dem reinen Speicherdienst S3, sind bis heute rund 30 verschiedene Cloud-Angebote von Amazon entstanden, die von Beginn an den Nebeneffekt hatten, dass sie die ohnehin vorhandenen Rechenkapazitäten der Amazon-Serverfarmen besser auslasteten. Längst beansprucht das Cloud-Angebot mehr von Amazons Datenverkehr als der weltumspannende Versandhandel. Hier ein paar Beispiele: Jeden Tag führt mit dieser Hilfe nun das amerikanische Start-up Climate Corporation mehr als 10.000 Simulationen durch, um für mehr als eine Million Standorte in den Vereinigten Staaten langfristige Wettervorhersagen treffen zu können. Die Daten dienen unter anderem dazu, Landwirten eine exaktere Planung ihrer Zeiteinteilung zum Beispiel bei der Ernte zu ermöglichen, aber auch, um Ernteversicherungen für die Landwirte zu kalkulieren. Ein weiteres Start-up namens Cue scannt bis zu 500 Millionen E-Mails, Facebook-Updates und andere Dokumente, um den Nutzern, darauf aufbauend, diverse im Alltag hilfreiche Informationsdienste anbieten zu können. Das Wichtigste daran aber ist: Jedes dieser noch recht jungen Unternehmen übernimmt für seine Kunden Rechenaufgaben, die vor einem Jahrzehnt unmöglich gewesen wären - und das, ohne jemals größere Investitionen in Computer getätigt zu haben. Sie nutzen allein die „Amazon Web Services“.
„Ich habe zehn Ingenieure, aber ohne AWS brauchte ich garantiert 60“, sagte Daniel Gross, der 20 Jahre alte Mitbegründer von Cue der „New York Times“. Und dann sagte er noch: „Es wird immer billiger und billiger und billiger.“ Cue gibt nach eigenen Angaben etwas weniger als 100.000 Dollar im Monat für die Amazon-Dienstleistung aus. Müsste man alles selbst machen, wären es vermutlich 2 Millionen Dollar - und das bei geringerer Geschwindigkeit und Flexiblität, schätzt Gross.
Es lassen sich noch viele weitere Beispiele finden: EdX, ein Online-Bildungsanbieter des Massachusetts Institute of Technology und der Harvard-Universität, hat schon einmal mehr als 12.0000 Studenten gleichzeitig betreut und erreicht, die einen einzigen Kurs gemeinsam im Internet mit der Hilfe von AWS besuchten. Mehr als 185 Dienststellen der amerikanischen Regierung lassen einen Teil ihrer Dienstleistungen über AWS laufen. „Es ist eine Verschiebung, so bedeutsam und so fundamental wie einst die Umstellung auf das Stromnetz“, sagte Andrew R. Jassy, der Leiter von AWS, zu dieser Entwicklung. Alles geschehe viel schneller, als man habe vermuten können. Tatsächlich gibt AWS Unternehmern die Mittel in die Hand, Geschäftsmodelle mit geringen Ressourcen umzusetzen, die früher ganz andere Investitionen erfordert hätten. Das sehen auch deutsche Branchenkenner so: Amazon eröffne Unternehmen mit seinem Angebot ganz neue Möglichkeiten, alles gehe schneller und werde billiger, schließlich miete man nicht nur die Rechenkapazität auf den Servern, sondern auch Programme, die man direkt einsetzen könne - und sei danach zudem in der Lage, die neuen Angebote zügig in ausgewählten Märkten zu testen.
Angst so groß wie nie zuvor
Anfang 2012 befragte das auf IT-Themen spezialisiere Marktforschungsinstitut IDC elf Unternehmen, die Anwendungen über die Amazon-Cloud-Infrastruktur bereitstellen. Dabei ging es um die Fragen: welche langfristigen wirtschaftlichen Konsequenzen sich durch das Verschieben der Arbeitslasten in die Amazon Cloud ergeben, wie sich das Verschieben der Anwendungen auf die Entwicklerproduktivität und die Unternehmensflexibilität auswirkt und welche neuen geschäftlichen Möglichkeiten sich den Unternehmen bieten, die Ressourcen in die Amazon-Cloud verlagern. Zu den befragten Unternehmen zählten kleine und mittlere Unternehmen sowie große Unternehmen mit bis zu 160 000 Mitarbeitern.
Quelle: faz.net