Die IT-Industrie will die Nutzer von Computern in ihre Ökosysteme einsperren. Microsoft könnte mit Windows 10 das ganze Betriebssystem in die Cloud auslagern. Der klassische PC wird ein Nischenprodukt.
Die Revolution versteckte sich in einer kleinen Meldung. Windows 10 – also die übernächste Version des Betriebssystems von Microsoft – soll kein PC-Betriebssystem im herkömmlichen Sinne mehr sein, sondern nur noch in der Daten-Cloud laufen. Das Programm würde also nicht mehr lokal auf dem Heimrechner, sondern von externen, über das Internet verbundenen zentralen Speichern gestartet. So meldete es jüngst die Internetseite xbitlabs.com.
Ohne Internetanschluss würde also kein Windows-Benutzer mehr seinen Computer betreiben können. Der Zugriff auf Gerät und Nutzerdaten wäre damit für 95 Prozent der PC-Benutzer weltweit – etwa so hoch ist der Marktanteil von Windows bei PC-Betriebssystemen – auf Gedeih und Verderb durch den Softwareriesen geregelt. So verfährt Apple heute schon mit seinen iPhone- und iPad-Kunden.
Zukunft als geschlossenes System
In der Folge zeichneten Branchendienste und Expertenforen ein Zukunftsbild von Windows als einem geschlossenen System. So wie die neueste Microsoft-Spielekonsole Xbox One eigentlich ohne ständige Internet-Verbindung wohl nicht dauerhaft funktionieren sollte und den Benutzer damit stark eingeschränkt hätte. Die Benutzung gebrauchter Spielsoftware wäre beispielsweise ohne die Zustimmung von Microsoft nicht möglich gewesen. Diesen Plan gab Microsoft allerdings nach weltweiter Kritik der Nutzergemeinde vorerst auf.
Ob es aber bald so für alle Windows-Benutzer kommt, will Microsoft auf Anfrage der "Welt" heute noch nicht sagen. Der Trend zu geschlossenen Systemen hat allerdings längst Fahrt aufgenommen, und Microsoft ist dabei eher in der Rolle eines Nachzüglers. Andere sind da längst weiter.
Spezialisierte Maschinen
"Computer werden in Zukunft verstärkt als spezialisierte Maschinen für bestimmte Anwendungen wie E-Books, Spiele-Konsolen und alle Arten von eingebetteten Systemen Verbreitung finden", sagt Jürgen Kleinöder von der Fachgruppe Betriebssysteme in der Gesellschaft für Informatik und akademischer Direktor am Lehrstuhl für Verteilte Systeme und Betriebssysteme der Universität Erlangen-Nürnberg der "Welt". Das sei ja bereits heute ein starker Trend.
"Benutzer, die Computer als universell programmierbare Maschinen benutzen, sind tatsächlich schon heute deutlich in der Minderzahl – und waren im Grunde schon immer eine Randgruppe", so Kleinöder. Ganz verschwinden werde der klassische PC aber nicht. Dieser sei aber schon heute ein "Nischenprodukt".
Bündelung von Diensten
Für die Industrie liegen die Vorteile bei mehr oder weniger geschlossenen Hard- und Softwareumgebungen auf der Hand. Spezialisierte Computer in Verbindung mit Nutzer-Plattformen, die alle wesentlichen Dienste bündeln und sie an dedizierte Hard- und Software binden, bieten enorme Gewinnaussichten. Das hat Apple beispielhaft mit seiner mobilen i-Revolution vorgemacht. Anwendungen aller Art, von Multimedia-Diensten bis zum E-Book-Verkauf inklusive garantiertem Urheberrechtsschutz und sämtliche Kommunikationsdienstleistungen müssen so am Kassenhäuschen des Systemherstellers vorbei.
Die Nachteile für den Anwender sind ebenso offensichtlich. Hat der sich für eine geschlossene Plattform entschieden, gibt es für viele Anwendungsszenarien oft kaum noch konkurrierende Softwareangebote. Der Nutzer ist praktisch nicht mehr Herr im eigenen Haus – sprich: über seinen eigenen Computer. Anwendungen können nach Belieben des Systemherstellers abgeschaltet und Kommunikationswege vorgeschrieben werden. Das kann zum Beispiel bis zu einer Abspielsperre für nicht ausdrücklich lizensierte Musik- oder Videodaten gehen.
"Je geschlossener eine Umgebung von Hard- und Software ist, desto sicherer ist sie. Der Preis dafür ist eine größere Abhängigkeit des Benutzers vom Hersteller. Das gilt natürlich auch für die persönlichen Daten des Benutzers, deren Verarbeitung und Verwendung der Benutzer in geschlossenen System praktisch nicht mehr nachvollziehbar kann", wägt Informatiker Kleinöder die Vor- und Nachteile dieser Entwicklung ab.
Beispiel Kindle
Ein anschauliches Beispiel für so ein geschlossenes System bietet Amazons E-Book-Reader Kindle. Auf dem Gerät sind ausschließlich Anwendungen und Medienprodukte aus dem Hause Amazon nutzbar. Sämtliche Nutzerdaten stehen exklusiv nur dem Versandriesen zur Verfügung, der wie bei Apples Mobilgeräten auch uneingeschränkt bestimmen kann, was mit dem Gerät möglich ist und was nicht. Auch sind die Besitzrechte an erworbenen Produkten, etwa bei E-Books, stark eingeschränkt, die Übertragbarkeit auf andere Systeme beispielsweise ausgeschlossen. Auch nachträgliche Einschränkungen von bestimmten Funktionen drohen jederzeit.
Der Trend zu geschlossenen Betriebssystemen geht einher mit den großen Umwälzungen infolge der ständig steigenden mobilen Nutzung des Internet. Wie aktuelle Zahlen des Marktforschungsunternehmens Gartner zeigen, stagniert der Markt für offene Personal Computer seit Jahren mit einem Umsatzminus von knapp 15 Prozent weltweit in diesem Jahr. Demnach verdreifacht sich in der Prognose der Absatz von Geräten mit dem Google-Betriebssystem Android im Zeitraum von 2012 bis 2017.
Verriegelung vom Provider
Auf der gleichen Zeitstrecke verdoppelt sich der Absatz von Geräten mit Apples Betriebssystem und vervierfacht sich der Absatz von Tablet-Computern. Geschlossene Betriebssysteme sind also massiv auf dem Vormarsch. Das gilt auch für Android. Denn Handys und Tablets mit dem eigentlich offenen Google-Betriebssystem werden häufig beim Vertrieb durch Netzprovider verriegelt ("gebrandet", d. h. auf dessen Marke geprägt). Der Nutzer kann dann nicht mehr uneingeschränkt mit seinem Gerät verfahren – obwohl er eigentlich der Eigentümer ist.
Die neue Mobilität hat also einen hohen Preis. Der Nutzer gerät in starke Abhängigkeit von Hard- und Software-Lieferanten. "Geschlossene Systeme grenzen die Wahlmöglichkeiten des Anwenders bezüglich der Software ein, zum Beispiel bei der Wahl des Internet-Browsers. Hieraus folgen natürlich wettbewerbsrechtliche Probleme, denen sich ja auch immer wieder die EU-Kommission mit entsprechenden Interventionen gewidmet hat," urteilt Betriebssystem-Experte Kleinöder.
Gegenbewegung mit Webtechniken
Doch es gibt auch Gegenbewegungen. Gegen den Trend zu abgeschotteten Computersystemen stemmt sich beispielsweise die bislang allerdings noch überschaubare Entwicklergemeinde der Mozilla-Cooperation mit dem Betriebssystem Firefox OS. Das ist ein quelloffenes, Linux-basiertes Betriebssystem für Smartphones und Tablet-Computer. Einige Hardware-Hersteller bieten bereits Geräte mit diesem System an. Das Konzept ist, die Benutzeroberfläche und Anwendungen vollständig mit Webtechniken (HTML, CSS und JavaScript) zu programmieren und damit Nutzern aber auch Programmierern größtmögliche Offenheit und Kompatibilität zu bieten. Wieweit sich das bei den Anwendern durchsetzen kann bleibt abzuwarten.
In genau die andere Richtung geht derweil der Mainstream im gesamten Internet. So stellt die Facebook-Welt bereits heute ein geschlossenes System innerhalb des Internet dar. Ebenso unternimmt Google mit dem PC-Betriebssystem Chrome OS den Versuch, den Nutzer lediglich nur noch durch Google-Anwendungen auf die eigenen Daten und das Internet schauen zu lassen.
Alle großen Unternehmen der IT-Welt werden weiter versuchen, durch geschlossene Öko-Systeme die Anwender an ihre Hard- und Software, sowie an herstellereigene Datenräume und Protokolle im Netz zu binden – und damit eben auch an ihre kostenpflichtigen Dienste.
Quelle: welt.de