Die meisten Deutschen schützen ihre Daten nicht vor Zugriffen. Sie gehen einen unausgesprochenen Vertrag mit Google und Co ein. Nur eine digitale Elite lässt sich bislang von Edward Snowdens Enthüllungen aus der Ruhe bringen.
An diesem Wochenende haben sich auf Einladung des Chaos Computer Club ein paar tausend Leute in Hamburg getroffen, um über die Folgen der NSA-Affäre zu sprechen. Per Video zugeschaltet war Glenn Greenwald, der Journalist, der Snowdens Daten öffentlich gemacht hatte. Greenwald erzählte, wie schwer er sich anfangs damit tat, seine Kommunikation mit Snowden zu verschlüsseln. Danach ging er über in ein flammendes Plädoyer für ebenjene Verschlüsselungstechniken: Nur mit ihrer Hilfe sei der Kampf um die Deutungshoheit über das Internet zu gewinnen. Greenwald ist nun ein Eingeweihter. Er gehört zur digitalen Elite, die sich bestens mit Kryptographie auskennt und für den großen Rest der Ahnungslosen nur müdes Mitleid übrig hat. Die Ahnungslosen wiederum wissen nicht recht, was die ganze Aufregung eigentlich soll.
Vor 30 Jahren waren die Deutschen in der Frage, wie wichtig ihnen Datenschutz ist, noch nicht so gespalten: Damals zog sich die Angst vor der Volkszählung und dem datengierigen Staat durch alle Schichten. Snowden dagegen löst keine Massenproteste aus – allenfalls Unbehagen. Die Deutschen sorgen sich nunmehr um die Sicherheit ihrer Daten, während die amerikanischen Konzerne sich ihrerseits um die Sorgen der Bürger sorgen, weil die ihnen Verluste bescheren könnten. In Deutschland müssen sie das aber gar nicht fürchten. Unbehagen ja, aber das eigene Verhalten ändern? Der IT-Verband Bitkom hat herausgefunden, dass inzwischen neun statt sechs Prozent der Nutzer ihre E-Mails verschlüsseln; 13 statt elf Prozent verwenden Anonymisierungssoftware. Von Massenaustritten auf Facebook ist auch keine Spur.
Denn beide Gruppen – die Eingeweihten und die Nichteingeweihten – sind in den letzten Jahren einen unausgesprochenen Vertrag mit den Konzernen eingegangen. Er lautet: Wir spendieren den Firmen ein paar persönliche Daten, dafür geben sie uns andere Daten zurück. Das ist der Kern der angeblich so sozialen „Share Economy“: Sag du mir, was du magst, ich sage dir, wo du es bekommst. Wenn eine Seite keine Daten hergibt, funktioniert es nicht. Das ist anders als 1983: Damals hatte man keinen erkennbaren Nutzen davon, seine Daten herzugeben. Jetzt schon. Und die Eingeweihten haben bei diesem Deal einen erheblichen Vorteil: Sie bekommen alle Informationen, die sie brauchen, müssen dafür aber viel weniger Daten hergeben als die anderen – weil sie wissen, wie sie sich vor dem Zugriff schützen, den die Ahnungslosen gar nicht bemerken.
Die Parteien nutzen das Unbehagen der Bürger nicht
Die Politik hat sich für den Datendeal lange nicht zuständig gefühlt. So ließ sie den Konzernen Zeit, uns an ihre Produkte zu binden, die ja tatsächlich so genial sind, dass sie längst unsere Kommunikation bestimmen. Weil der Datentausch in Deutschland aber ein Grundrecht berührt und gefährdet, nämlich jenes auf informationelle Selbstbestimmung, reicht der Deal eben doch in die politische Sphäre hinein. Denn wie soll man „selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten“ bestimmen, wenn keiner mehr weiß, wo sie sich befinden? Der normale Bürger ist unfähig, sein Recht einzufordern, der Staat schützt es nicht für ihn. Nur die Eingeweihten haben noch eine Chance: revenge of the nerds.
Seit 1983 haben sich aber noch ein paar Dinge geändert. Das Datentauschen macht nicht nur vielen das Leben leichter, es ist auch alltäglich geworden wie Fahrradfahren. Und da NSA und Google nicht an die Haustür kommen, um zu notieren, mit wem wir wohin in den Urlaub fahren, lassen sich die unangenehmen Seiten leicht verdrängen. Erst wenn das Street-View-Auto am eigenen Gartenzaun vorbeischleicht, regt sich vielleicht doch noch Widerstand.
Die Parteien haben (bis auf die Piraten, deren kurze Blüte aber auch erst begann, als sie gerade nicht mit Themen wie Datenschutz für sich warben) kaum Ideen, wie die Hoheit über die Daten zurückzugewinnen wäre. Ihre Vorschläge verströmen aus allen Poren Hilflosigkeit: Auf eigens geschalteten Internetseiten wird verzweifelt versucht so zu tun, als wäre es gar nicht sooo kompliziert, Verschlüsselungssoftware zu benutzen. Ist es aber leider doch. Und auf Betreiben der FDP wurde vor einem Jahr eine Stiftung Datenschutz eingerichtet, die so stiefmütterlich behandelt wurde, dass sie nun nicht einmal mehr zum Feigenblatt taugt. Union und SPD machen ohnehin nicht den Eindruck, als interessiere sie der Datenschutz über Gebühr. Zwar verbergen sich im Koalitionsvertrag unter einigen Bling-Bling-Begriffen („Internet-Infrastruktur Deutschlands und Europas als Vertrauensraum“) tatsächlich gute Ideen: zum Beispiel, europäische Soft- und Hardware oder Cloud-Technologie zu fördern. Aber davon werden nur Leute Gebrauch machen, die glauben, dass sie etwas davon hätten. Damit sie das glauben, müssten die Parteien das Unbehagen nutzen, das Snowden ausgelöst hat, und Datenschutz wieder zum Gesellschaftsthema machen. Bisher tun sie das nicht.
Quelle: faz.net