Die neue „Hello Barbie“ und ein „Cognitoy“-Dinosaurier sollen mit Kindern plaudern. Mit ihrer Hilfe können die Eltern die Kommunikation mit dem Nachwuchs auf ein Mindestmaß einschränken – und Konzerne die Daten sammeln.
Ganz possierlich sieht der grüne Dino aus. Mit einem Druck auf den großen Knopf auf seinem Bauch kann sein kleiner Besitzer ihn anschalten und Fragen stellen: Wie geht es dir? Warum ist der Himmel blau? Und wo kommen die Babys her? Was Kinder eben so fragen. Der Dino, versichern seine Entwickler auf der Crowdfunding-Seite Kickstarter, gibt daraufhin altersgerechte Antworten. Auf Wunsch erzählt er auch Geschichten. Außerdem könne er gemeinsam mit dem Kind Witze reißen und sich darauf einstellen, auf welchem Niveau der Sprachentwicklung es sich befinde. Von diesem Niveau ausgehend, steigen die semantischen Anforderungen parallel zu den Fähigkeiten des Kindes. Von den Handlungen des Kindes ausgehend, soll der Dino sogar eine eigene Persönlichkeit entwickeln.
Heute geht die Finanzierung dieses sogenannten „Cognitoys“ zu Ende, und das Kampagnenziel ist um mehr als das Fünffache übertroffen worden. Das ist seltsam, schließlich kann der Dino im Grunde nichts, was Eltern nicht könnten. Mit dem Kind reden: check. Sich auf das Kind einstellen: check. Geschichten erzählen: check. Selbst über die misslungensten Witze des Kindes lachen: Zugegeben, das ist eine Herausforderung, wird aber mit etwas Duldsamkeit doch wohl zu machen sein.
Der Dino teilt seine Erkenntnisse
Die Auslagerung kindlicher Bedürfnissen an ein Spielzeug erinnert an eine Erkenntnis aus den fünfziger Jahren. Damals ging man davon aus, dass Kinder bis zum Alter von einem Jahr eigentlich nur versorgt werden müssten. Füttern, wickeln, dann wurden sie meist wieder ins Babybett gelegt. Bis der amerikanische Psychologe Harry Harlow mit Rhesusäffchen experimentierte: Er trennte sie direkt nach der Geburt von ihren Müttern und gab ihnen zwei künstliche Ersatz-Mütter zur Auswahl. Eine bestand aus Draht, hielt aber Milch bereit. Die andere hatte keine Milch, war dafür mit einem kuscheligen Frottee-Handtuch bezogen und hatte etwas, das an ein Gesicht erinnerte. Harlow stellte fest, dass die Affenkinder sich fast die ganze Zeit an die weiche Mutter klammerten und nur zum Trinken kurz wechselten.
Das „Cognitoy“ mag in diesem Vergleich auf den ersten Blick wirken wie die Drahtmutter. Aber es ist umgekehrt: Der Dino vermittelt den Kindern liebevolle Aufmerksamkeit, während die Eltern sich auf die Versorgung zurückziehen können. Und die beschränkt sich auch dank des neuen Spielzeugs selbstverständlich nicht auf Nahrung und ein weiches Bett – denn der Dino spricht nicht nur mit dem Kind, er teilt seine Erkenntnisse auch über WLan mit den Eltern. Sie können also ablesen, auf welchem Sprachniveau ihr Kind sich befindet, und einschreiten, sollte ihnen das Niveau für die Hochbegabten-Grundschule nicht ausreichend erscheinen.
Darüber hinaus erfahren Eltern über den Dino, was ihr Kind beschäftigt. Man könnte auch selbst mit dem Kind reden, aber das scheint ein altmodischer Ansatz zu sein. Zumal das Kind dem Dino in der trauten Abgeschiedenheit des Kinderzimmers womöglich Dinge erzählt, die seine Eltern gar nicht hören sollen. Früher waren Kuscheltiere nicht nur Kumpels, sondern auch Beichtväter. Kinder konnten ihrem Teddy unbelauscht anvertrauen, dass Mama mal wieder ungerecht und Papa gemein war und dass die Antwort auf die Frage, wer die Schokolade aus der Schublade genommen hat, eventuell doch eine klitzekleine Lüge war. Heute hören die Eltern mit. Dass den Kindern das jederzeit klar ist, darf man bezweifeln.
Auf Kickstarter kam prompt die Frage auf, ob man nicht direkt die Behörden alarmieren könne, wenn ein Kind seinem Dino von Missbrauchserlebnissen erzählt. Die Entwickler nahmen vorerst Abstand von diesem Vorschlag und erklärten, Datenschutz sei ihnen sehr wichtig. „Wir speichern die Aufnahmen nicht auf unseren Servern“, erklärten sie. „Die Daten werden verschlüsselt und können nur von dem Spielzeug selbst und den Eltern ausgelesen werden.“
„Hello Barbie“ schlägt Berufe vor
Um solch hehre Dinge wie Datenschutz schert sich Mattel hingegen nicht. Der Spielwarenkonzern hat eine Barbiepuppe vorgestellt, die von Herbst an in Amerika erhältlich sein soll: „Hello Barbie“ hört zu, sendet die Aussagen der Kinder via WLan an die Server des Start-ups Toytalk und antwortet mit deren Unterstützung passend. Sie stellt auch selbst Fragen: Was ist dein Lieblingsessen? Wenn du eine Superkraft haben könntest, welche wäre das?
Die Puppe merkt sich die Antworten, um sich bei nächster Gelegenheit darauf beziehen zu können. Bei einer Präsentation erfuhr die Barbie zunächst, dass ihre Besitzerin gern auf der Bühne steht. Kurz darauf wurde sie gefragt, was die Gesprächspartnerin denn mal werden solle, wenn sie groß sei. „Du sagtest mir, du stehst gerne auf der Bühne“, sagte Barbie. „Vielleicht Tänzerin? Oder Politikerin? Oder...eine tanzende Politikerin?“
Der Chef von Toytalk, Oren Jacob, legt Wert auf die Feststellung, dass man die Gespräche der Kinder mit der Barbiepuppe nicht in Echtzeit überwache. Damit kann er nicht vom viel dramatischeren Umstand ablenken, dass die Aufnahmen für zwei Jahre gespeichert und zur weiteren Produktentwicklung genutzt werden. Außerdem gibt Toytalk die Aufnahmen an Drittanbieter weiter, die angeblich bei der Sprachentwicklung helfen. Diese Anbieter dürfen die Daten behalten und für sich selbst nutzen. Eltern können bei der Barbie-Puppe auch online auf die Aussagen ihres Kindes zugreifen und sie, so sie wollen, löschen. Die Frage, wie schnell Eltern sein müssen, damit die Aufnahmen nicht schon bei Drittanbietern angekommen sind, lässt Mattel offen.
Wie der Plauderdino nimmt die Barbie-Puppe nur auf, wenn ein entsprechender Knopf gedrückt wird. Dieser allerdings befindet sich – die Perfidie ist schon fast beeindruckend – an der Gürtelschnalle. Wer länger kein Kind beim Spielen mit einer Barbie beobachtet hat, dem sei gesagt: Ihre Wespentaille sorgt dafür, dass Kinder sie praktisch immer in der Mitte umfassen. Um die Kleidung der Puppe zu wechseln, worin für viele Kinder eine große Attraktion liegt, muss man sie dort sogar berühren. Und auch, um ihre Knie zu beugen, damit Barbie sich hinsetzen kann. So liegt die Vermutung nahe, dass der Knopf andauernd betätigt wird: Kinder nehmen eine Puppe in die Hand und drücken unabsichtlich auf die Abhörtaste. Nur über eines verrät „Hello Barbie“ noch mehr als über die belauschten Kinder: die Scheinheiligkeit des Herstellers.
Quelle: faz.net