Apple will im Medizinmarkt mitspielen - und verspricht mit seiner Smartwatch "das vollständigste Bild Ihrer täglichen Bewegungen". Doch will man Puls, Blutdruck oder Atemfrequenz wirklich einem Konzern anvertrauen?
"Führen Sie ein gesundes Leben und seien Sie aktiver", verspricht das Firmenvideo von Apple. Die Mittel dazu: "mehr Daten sammeln". So hat die neue Apple Watch einen Beschleunigungsmesser, um die Bewegungen des Körpers zu analysieren. Einen Intensitätsmesser für den Herzschlag. GPS- und Wlan-Verbindung, um die Schritte zu zählen. Auch die Kalorien, die verbrannt werden, will die Apple Watch speichern. Nicht weniger als "das vollständigste Bild Ihrer täglichen Bewegungen" verspricht die Uhr ihren Trägern.
Und Apples Aktionären. Denn die am Dienstag vorgestellte Apple Watch soll dem Konzern den Weg in den lukrativen Gesundheitsmarkt ebnen. Lange arbeiteten die Kalifornier darauf hin: Seit zwei Jahren hilft Apple etwa der Mayo Klinikgruppe dabei, sämtliche Gesundheitsdaten ihrer Patienten in digitaler Form ins Apple-Ökosystem einzuspeisen - die Ärzte in dem Krankenhauskomplex in Minnesota können mithilfe einer iPad App etwa auf alle Patientendaten an den Krankenbetten live zugreifen. Es folgte eine Allianz mit Epic Systems, führender Anbieter elektronischer Krankenakten. Und die Kalifornier schnappten sich Fitnessguru Jay Blahnik als Aushängeschild für die Uhr, zuletzt bei Nike zuständig für das Fitnessarmband "Fuelband".
Die Apple Watch ist nun der nächste Paukenschlag, und im Zentrum steht die App "Health". Über diese Plattform kann die Uhr alle möglichen Körperdaten wie Atemfrequenz, Puls oder Blutdruck zu einer Art persönlichen Akte bündeln. Eine De-Installationsmöglichkeit ist bislang nicht vorgesehen. Die Apple Watch soll damit alles vereinen, was Fitnessarmbänder bislang können, und sie womöglich überflüssig machen. Live ließen sich auffällige Werte wie zu hoher Blutdruck mit dem Arzt teilen, so die Vision. Überschreitet ein Wert eine kritische Grenze, könnte die Uhr künftig auch automatisch einen Arzt alarmieren. Der User soll jedoch selbst entscheiden, welche Daten mit wem geteilt werden und welche bei ihm bleiben sollen. Externe Apps, die auf den Datenspeicher Health zugreifen, müssen laut Apple eine Datenschutzstrategie haben.
Wie Apple zum Bunker für Gesundheitsdaten werden will
"Jawbone" oder "Fitbit". Doch um deren Infos auf dem Smartphone sichtbar zu machen, mussten Entwickler für jedes Gerät eine spezielle Software schreiben - eine Sisyphusarbeit für Programmierer. "Mit Health liefert Apple nun eine Schnittstelle, die viel einfacher anzuzapfen ist", sagt Manuel Heuer von der Schweizer Firma Dacadoo. Apple wolle so zum "Datensilo" werden. Heuer beobachtet das genau, denn auch seine Firma hat eine internetbasierte Plattform gebaut, auf der Nutzer die Fitnessdaten verschiedener Geräte einspeisen und teilen können - eine Art Facebook für Fitness. Aus Metriken wie den gelaufenen Schritten berechnet das System einen individuellen "Health Score" von 1 bis 1000. Heuer nennt das "den eigenen Aktienkurs für Gesundheit und Fitness".
Derlei Selbstvermessung war bislang Sache von technikversierten Nerds, meist junge Männer zwischen 20 und 30. Apps wie Health und die Apple Watch zielen nun auf das große Publikum und andere Umgebungen: Patienten, Versicherte, Pflegebedürftige.
Doch wollen die Anwender solch digitale Maßbänder überhaupt? Jeder fünfte Deutsche nutzt bereits medizinische Apps, vor allem um sich über Symptome oder Krankheitsbilder zu informieren, ergab kürzlich eine repräsentative Umfrage der Krankenkasse Ikk classic. Einige checken mit dem Handy auch Gesundheitswerte wie Blutdruck und Blutzucker. Ein Viertel der Befragten wollte immerhin in Zukunft solche Tools installieren.
Die Forscher fragten auch nach Anwendungen, die Nutzer sich am dringendsten wünschen. 70 Prozent konnten sich mit einem digitalen Notfallausweis anfreunden, der Allergien und Notfallnummern auf dem Smartphone speichert. Eine App mit Anweisungen für erste Hilfe schien fast ebenso vielen wünschenswert; zwei von drei würden gern per Smartphone-App Arzttermine vereinbaren. 13 Prozent besaßen hingegen gar kein Handy, und rund ein Drittel der Befragten sagte rundheraus: "Ich vertraue meinem Arzt und Apotheker mehr als einem Handy-Programm."
Hier liegt genau das Problem für Konzerne wie Apple und Mediziner gleichermaßen. "Die Erfindungen scheinen nicht wirklich für die ältere Generation gemacht zu sein", sagt Christoph Dockweiler von der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Uni Bielefeld. Die Apple Watch habe etwa eine recht kleine Oberfläche, sie erfordere viel Feinmotorik. Viele ältere Personen könne das überfordern, sagt Dockweiler. Gerade die bräuchten die "Telemedizin" aber am dringendsten - so nennen die Mediziner Telekommunikationstechnik in der Patientenversorgung. Wenn Patienten künftig selbst ihre Blutwerte checken und an den Arzt funken, ließe sich damit vielleicht dem Ärztemangel auf dem Land etwas entgegenwirken.
Nur wenige Versicherte nutzen das Angebot zur Selbstvermessung
Da habe es schon viele Versuche in Deutschland gegeben, berichtet Dockweiler - "wild verteilte Pilotprojekte" seien das zumeist gewesen, über den Erprobungsstatus hinaus kamen die wenigsten. Ob dies Geräten wie der Apple Watch gelingt ist unklar, genauso wie die Sicherheit der übermittelten Daten. Ein Sprecher der Ikk Classic würde jedenfalls bislang dazu raten, "personenbezogene Gesundheitsdaten nicht solchen Medien anzuvertrauen."
Auch da gehen die Meinungen auseinander. Die AOK Nordost kooperiert etwa bereits mit Dacadoo, Versicherte können sich kostenlos bei der Schweizer Plattform anmelden. Bislang nutzten aber nur 770 Versicherte das Angebot, ein verschwindend geringer Prozentsatz. Experten erhoffen sich nun von der Apple Watch einen gewissen Schub für Gesundheits-Apps, begeistert sind sie aber nicht wirklich. Die Uhr habe keine eigene Sim-Karte und funktioniere nur zusammen mit einem Smartphone, gibt Manuel Heuer zu bedenken. "Beim Joggen ist das unpraktisch." Auch der Akku soll nur einen Tag halten. Aber: "Die schicke Apple-Optik bringt schon einen gewissen Reiz mit", sagt Dockweiler. Technisch sei das zwar nichts grundlegend Neues in der Telemedizin. "Aber die Verpackung ist halt schön."
Quelle: sueddeutsche.de